Miro Pandža in seiner Oase.
Miro Pandža in seiner Oase.

Interview mit Miro Pandža ehemaliger Ökonom, Agronom und hochrangiger Militärangehöriger aus Mostar vom 23. Mai 2019.

 

Ich bin überhaupt nicht zufrieden wie das heute in diesem Land zu und her geht. Ständig wechseln die politischen Meinungen und Haltungen zu Sachfragen, und das Vertrauen der Bevölkerung in Staat und Politik ist stark geschwunden. Die Politiker versuchen die Politik in die gesellschaftliche Elite und in die örtliche Kultur einzubinden. Kaum jemand nimmt diese Positionierung noch ernst. Und doch bewundert ein Grossteil der Bevölkerung solche Plattitüden. Wie damals im alten Rom wird mit ‘Brot und Spielen’ von wesentlichen Problemen abgelenkt.

Ich als 70-jähriger hab mich damit abgefunden, da ich nicht vorhabe, irgendwo anders mein Leben neu zu starten. Ich staune hingegen über diejenigen unter 50 und noch immer in diesem Land leben! Ich wäre schon lange weg, aber jetzt ist es zu spät für mich. Es ist überall besser als hier! Sie haben nichts hier – keine Perspektiven.

Es ist alles miteinander in Abhängigkeiten verstrickt – nur schon bei den Hochschulen, und es werden überall private Bildungsstätten gegründet, wo Diplome durch Beziehungen ohne weiteres käuflich erworben werden können. Noch im sogenannten dunklen Mittelalter hatten die Universitäten mehr Autonomie, heute zerfallen sie. Der Nepotismus ist noch ein anständiger Ausdruck für was sich hier abspielt.

Im Kapitalismus ist mindestens die Legislative unabhängig. Hier aber ist alles mit allem in einem Netz verstrickt. Als Beispiel sei kurz die kroatische politische Seite in Mostar beleuchtet: der kroatisch bosnisch-herzegowinische Politiker, im 2014 Präsident des Landes, Dragan Covic wird hier in Mostar wie Gott angehimmelt. Alles geht über ihn, und er entscheidet alleine und verärgert viele! Sogar die Bischöfe buhlen um seine Gunst. Vor zehn Jahren war ich noch ein praktizierender Gläubiger. Doch das hier hat nichts mehr mit Glauben zu tun, sondern ist schlichte Manipulation. Du kannst ein Volk manipulieren, wenn es angeschlagen ist. Du musst kein Moslem sein, damit du ein Taliban wirst! Was hier abgeht ist eine Talibanisierung der Katholiken – das hat nichts mit dem Glauben zu tun.

Die Geschichte multipliziert sich mit sich selbst weiter. Niemand kann sie stürzen. Ständig wird mit Spannung gespielt seitens der Politik, so dass ich in Befürchtung lebe, dass eines Tages ein Muslim auf der anderen Seite der Stadt aus heiterem Himmel durchknallt und im kroatischen Teil ein Blutbad anrichtet. Führende bestehlen die Bevölkerung und halten Spannungen bewusst aufrecht. Die Tragik und Ironie sind jedoch, dass Führende aller Ethnien (Kroaten, Muslimen und Serben) sich regelmässig treffen und absprechen, wie hoch die Spannung aufgeschraubt werden soll. Das ist eine billige Kopie der Kommunisten, wie sie früher regierten. Heute ist der gleiche kommunistische Kader an der Macht. Die Situation wird diszipliniert angespitzt.

Meiner Meinung nach ist das hier ein schönes Land, in dem es sich gut leben lassen könnte. Leider ist es schrecklich, einfach schrecklich wie es keine Perspektiven gibt, damit sich etwas entwickeln kann. Wunderschöne Felder hätten wir, aber alle Geschäftswege wurden durch den Krieg gekappt. Einzelne Ortschaften als Lieferanten stehen nun still mit der Produktion und können beispielsweise nicht mehr Kartoffeln in Mostar verkaufen.

Ich war im Krieg in einer führenden Position bis zum Zeitpunkt der Aufteilung der Stadt Mostar. Von Anfang an war ich dagegen und hab alle meine beruflichen Vorteile wegen meiner Haltung verloren – das habe ich schnell überwinden können. Aber wie um Himmels Willen kannst du eine Stadt aufteilen und erwarten das Frieden herrschen sollte? Wie kannst du eine Stadt überhaupt aufteilen? Stell dir doch mal Zürich vor, dass sie aufgeteilt würde. Käme das bei euch zu Stande? Ich glaube nicht.

Fast 30 Jahre sind nun seit dem Krieg vergangen. Die Spannungen haben etwas nachgelassen. Aber sollen wir weitere 500 Jahre warten, bis sich die Stadt wieder versöhnt, zumindest normalisiert und wir wieder einfach und gut leben können?

Wir sind sogar soweit, dass Bürger aus Mostar seit gut 10 Jahren keine Möglichkeiten haben zu wählen. Die Politik kann sich als Folge früherer Streitigkeiten nicht einigen. Der hiesige Bürgermeister wurde für zwei Jahre gewählt. Nun ist er bereits zehn Jahre im Amt.

Aus meiner Perspektive aus sehe ich hier keine heitere Zukunft. Wie schon gesagt. habe ich mich für meine Person mit der Situation abgefunden, jedoch für meine Kinder und Enkel ist es mir schwer ums Herz. Denn die Menschen hier haben nicht das Gefühl, wenn sie etwas gestohlen haben, dass es etwas Schlimmes wäre. Gestern war er noch halbnackt auf der Strasse und heute fährt er einen Jeep. Meine Frau hatte Wirtschaft studiert und hier in Mostar gearbeitet und erhält 150 Euro monatlich.

Das Gesundheit- und Schulungswesen sowie die Kultur müssen wieder in Stand gesetzt werden, wollten wir wirklich vorwärtskommen. Im Moment ist die Struktur hier das eines Hauses, das auf dem Dach steht, statt auf den Grundpfeilern. Jetzt regiert der, der Geld hat, obwohl es Regierungskammern und -abteilungen gäbe.

 

Lasst mich auf ein aktuelles Beispiel eingehen, die Produktion und der Handel mit der Immortelle-Pflanze und seinem begehrten Öl. Vor wenigen Jahren sind viele Produzenten aufgrund falscher Versprechungen erhebliche Klumpenrisiken eingegangen. Dieses Jahr sind die Preise gefallen, und die Investoren machen sich aus dem Staube und kümmern sich nicht um das Los der Produzenten auf dem Land. Die Bauern lassen sich einfach mit Versprechungen vom schnellen Geld verführen. 

Ein Quereinsteiger in der Immortelle-Produktion wartet auf einen Preisanstieg.
Ein Quereinsteiger in der Immortelle-Produktion wartet auf einen Preisanstieg.

Wenn nicht von aussen ein ausschlaggebender Impuls Einfluss nimmt, wird das Land auch weiterhin am gleichen Punkt herumkauen, wie vor beinahe 30 Jahren kurz nach dem Krieg. Fortschritt wird aus eigener Motivation kaum gelingen, da ständig die Spannungen untereinander als Problem vorgeschoben werden. Eine systematisch inszenierte Polarisierung aus Politik und Religion bringt eine ungesunde Dynamik zwischen Politik und Volk. Im schlechtesten Fall schaut jeder rücksichtslos für sich selbst und berechnet jeden Schritt, den er macht, statt auch andere miteinbeziehen.

 

Eine eventuell positivere Variante wäre der Eintritt in die EU, jedoch ist Bosnien und Herzegowina Meilen davon entfernt die Bedingungen zu erfüllen. Eine Vision, dass sich das Bewusstsein bei den Jungen ändert und eine kritische Masse erreicht, könnte eine Bewegung hervorrufen und eine Umstellung verlangen. Die Frage, wer hier wem Freund oder Feind ist, taucht sofort auf.

Endlich das Team Nešto Više! Es fehlen noch zwei Mitglieder, dafür ergänzen die Volontäre aus Frankreich und den USA die Crew.
Endlich das Team Nešto Više! Es fehlen noch zwei Mitglieder, dafür ergänzen die Volontäre aus Frankreich und den USA die Crew.

IZA - und Leben im Ausland (27.6.19)

 

Warmherzig denke ich gerne an verschiedene Höhepunkte meiner Praktikumszeit zurück.

 

Gleich zu Beginn etwa durfte ich namens der NGO Nešto Više im serbischen Selenče an einer packenden Weiterbildung in der biologischen Landwirtschaft teilnehmen. Wenngleich ein Agronomiestudium als Grundlage für ein solches Wirken als Voraussetzung gesehen wird, so hat mich die Vielzahl der PraktikerInnen überrascht, welche Elemente der Permakultur als festen Bestandteil der biologischen Landwirtschaft behandeln. Damit wird die seit den 1980-er Jahren, damals noch im damaligen Jugoslawien, gepflegt und weitergeführt. Klar kamen die bosnischen Kursteilnehmer nicht um ein Interview mit mir herum.

Beeindruckt haben mich im weiteren die Ausrichtung und die Erfolge der Organisation ZMAG (übersetzt: grünes Netzwerk aktiver Gruppen) in Kroatien während der letzten zwanzig Jahre. ZMAG gilt im ganzen Balkan als wichtigste Referenz in diesem Bereich. Sie achten auch bewusst auf einen – gerade im Balkan ausschlaggebenden – grenzübergreifenden Wissens- und Erfahrungsaustausch. Der praktisch ausgerichtete Workshop über das Bauen von Häusern mit natürlichen Materialien erfüllt mich noch lange.

Überdies hat mich das hohe Resonanzfeld für das Thema angenehm überrascht, wie es sich etwa im Artikel über mich im Onlineportal des ‘Agroklub.ba’ niedergeschlagen hat. Auch habe ich bei praktisch allen an reproduktiver naturnaher Landwirtschaft Interessierten eine positive und lösungsorientierte Einstellung festgestellt, und dies in einem Land, welches über viele Jahrzehnte mit widrigsten Umständen zu kämpfen hatte.

Noch ganz frisch sind die heutigen Eindrücke meines Besuchs an der mediterranen Hochschule für Agronomie in Mostar mit einem NGO-angestellten Agronomen mit dem Ziel, mich mit der für Landwirtschaft zuständigen offen ausgerichteten Professorin bekannt zu machen und für ein weiteres Zusammenwirken zu gewinnen.

In meiner Praktikumszeit fällt auch mein kurzes und sehr aufbauendes Gespräch mit dem Schweizer Botschafter der Ukraine in Odessa, welcher mich zur Kontaktierung der sicherlich am Projekt interessierten Schweizer Botschafterin in B&H ermuntert hat.

Zum Schluss ist B&H ein Land voller Wunder, üppiger und karger Natur und noch nicht gänzlich ausgebeutet, wenngleich manchenorts gefährdet. Die atemberaubende paradiesgleiche Natur rund um den Fluss ‘Una’ ganz im Westen des Landes darf bei einem Besuch schlicht nicht unbesucht bleiben.

Auf dem Weg in eine andere Stadt auf serpentinen Strassen...
Auf dem Weg in eine andere Stadt auf serpentinen Strassen...

Vom Einsatz habe ich weniger erwartet, wie ich tatsächlich erleben durfte.

Einen kleinen Misston erzeugte eine Quereinsteigerin in Hortikultur, welche um keinen Preis einen Austausch mit mir und dem Projekt suchte und lieber in ihrer isolierten und abgeschotteten Haltung verblieb. «Der weise Mensch bevorzugt das eine und lässt das andere», sagte ich mir und richtete meine Aufmerksamkeit auf die vielen am Projektinhalt Interessierten.

 

Das nasskalte Wetter im April und Mai öffnete zwar nicht gerade mein Herz, erleichterte allerdings die zahlreichen Reisen und die intensive Tätigkeit, welche nicht, wie im Juni 2019, in der Hitze zu ersticken drohten. Die zahlreichen langen Reisen durch das zerklüftete Land, mit regelmässigen Abständen nach Kroatien mit Zagreb und nach Serbien, ermüdeten und boten guten Grund, mich auf der Farm von Nešto Više auch von den intensiven Eindrücken, Schilderungen und Biografien gezielt zu erholen.

 

Gewünscht hätte ich mir eine grössere Absprachefähigkeit zweier bestimmter Stakeholder. Der eine aus Nordbosnien zog sich aus einem vereinbarten Projekt eines auf verschiedenen Wochenenden verteilten Permakultur-Kurses zurück. Der andere, der nächsten Nachbar in Mostar, verhielt sich gegenüber einer näheren Zusammenarbeit bei einer gemeinsamen Tagung zurückhaltend.

Ich könnt mir sehr gut vorstellen im Umfeld der internationalen Zusammenarbeit tätig zu sein. Ich sehe, wie mein Projekt die bestens vernetzte NGO Nešto Više hier in Mostar und ihre weiteren Interessierten und Kunden für ihre Produkte und Dienstleistungen anspricht. Sie werden von neuen Kontakten und Informationen, dem Austausch von "Know-how", einer besseren Sichtbarkeit in B&H, Werbung und Promotion profitieren. Das Projekt bietet eine gute Grundlage, um ein nachhaltiges Follow-up der reproduktiven Landwirtschaft in B&H und der Balkanregion zu ermöglichen. Solche Entwicklungen interessieren mich, und ich merke, dass ich Freude dabei gefunden habe.

Überdies nehme ich zunehmend das interessierte Wohlwollen an den von mir vertretenen Ansätzen bei zahlreichen internationalen Fachleuten und zunehmend auch bei Behörden- und Regierungsvertretern in der Schweiz und Schweizer Organisationen mit ähnlicher Ausrichtung wahr.

 

Eigentliche Zweifel kommen nicht auf, Respekt allerdings bei der Neuordnung derjenigen Netzwerke, die sich während und seit dem Bürgerkrieg von 1992 – 1995 etabliert haben und sich als wenig tragfähig erweisen.